Nürnberg, 17. März 2016. Nach den syrischen Flüchtlingen sind Menschen aus Afghanistan derzeit die zweitgrößte Gruppe unter denen, die in Deutschland Schutz suchen. Die Bundesregierung arbeitet mit Nachdruck daran, wenigstens Teile von Afghanistan zu sicheren Herkunftsregionen zu erklären. Asylsuchenden aus diesem fast täglich von Terroranschlägen gebeutelten Land droht jetzt vermehrt die Abschiebung. Einer von ihnen ist Amir Hossain. Die Duldung des gerade 20-Jährigen wurde nicht verlängert. Seine einzige Chance, bleiben zu können: Er muss einen Ausbildungsplatz finden.

Amir Hossain schläft nicht mehr gut. Seit einiger Zeit fürchtet er jeden Tag, dass die Polizei ihn mitten in der Nacht abholt und in ein Flugzeug Richtung Afghanistan oder Iran setzt. Zudem bekommt er höchstwahrscheinlich ab April auch keine Leistungen mehr vom Sozialamt, das bisher seine Mietkosten übernommen und ihm ein Taschengeld gezahlt hat.

Weder in Afghanistan noch im Iran hat Amir, sofern er überlebt, irgendeine Chance auf eine annähernd menschenwürdige Existenz. Seine Familie floh aus Afghanistan in den benachbarten Iran, als er sechs Monate alt war. Dort durfte Amir als gebürtiger Afghane weder zur Schule gehen noch einer geregelten Arbeit nachgehen. Würde er dorthin zurückgeschickt, müsste er erneut Asyl beantragen. Das Asylverfahren im Iran dauert in der Regel fünf Jahre. In dieser Zeit wäre er kaserniert und könnte nicht einmal einen im Iran gültigen Schulabschluss machen. Müsste Amir, was wahrscheinlicher wäre, nach Afghanistan zurück, hätte er überhaupt keine Chance: Er kennt dort niemanden und spricht keine der in Afghanistan gebräuchlichen Sprachen. Zudem müsste er wegen der hohen Gefahr von Anschlägen täglich um sein Leben fürchten.

Hier in Deutschland ist Amir auf dem besten Weg der Integration. Seit seiner Ankunft im September 2011 bemüht er sich, in dieser Gesellschaft Fuß zu fassen. Er spricht schon gut Deutsch und hat inzwischen einen Hauptschulabschluss und ein Ziel: Er möchte Verkäufer im Textileinzelhandel werden. Nach einigen Praktika in diesem Bereich sucht er nun einen Ausbildungsplatz und schreibt eifrig Bewerbungen. Zudem hätte er gerne eine Möglichkeit, sein Deutsch weiter zu verbessern. Ein Ausbildungsplatz wäre seine einzige Chance, in Deutschland bleiben zu können.

Innenminister Thomas de Maizière verfolgt eine andere Mission. Er will, wenn schon nicht ganz Afghanistan, dann doch wenigstens einzelne Regionen dort für sicher erklären, um die Chance afghanischer Flüchtlinge auf Asyl zu minimieren und sie schnell abschieben zu können. Während seines Besuchs in Afghanistan Ende Januar, Anfang Februar propagierte der Innenminister erneut, es gäbe sichere Gebiete in Afghanistan und formulierte in einem Interview des ZDF ein seltsam anmutendes Argument: „Wenn wir mit Polizisten und Soldaten in Afghanistan bleiben, können wir auch erwarten, dass die Afghanen selbst im Land bleiben.“

In einem Brief an den Vorsitzenden der Innenministerkonferenz der Länder fordert de Maizière diesen auf, „den baldigen Abschluss einer Gemeinsamen [sic!] Absichtserklärung mit Afghanistan […], um die freiwillige Rückkehr und die zwangsweise Rückführung zu erleichtern“, dadurch zu unterstützen, dass noch im Februar „mindestens ein Flug nach Afghanistan mit zurückkehrenden afghanischen Staatsangehörigen durchgeführt werden kann.“

Afghanistan ist jedoch alles andere als ein sicheres Herkunftsland. Auch einzelne Regionen können nicht dauerhaft als sicher gelten, da die Taliban und neuerdings auch der IS immer mehr Provinzen zurückerobern. Auch aus Sicht vieler ExpertInnen sind die Befriedung und der Wiederaufbau Afghanistans wenigstens vorerst gescheitert. Selbst die Bundeswehr erwartet in ihrem „Ausblick Sicherheitslage 2016“ eine „Verschlechterung der Sicherheitslage“. Viele ländliche Gebiete sind demnach überwiegend oder gar nicht mehr zu kontrollieren. Sogar „ein zeitlich befristeter Kontrollverlust der afghanischen Sicherheitskräfte“ wird von der Bundeswehr als „möglich“ erachtet.

„Es ist mit dem christlichen Glauben nicht vereinbar, Menschen in ein Land zurückzuschicken, wo Terror, Verfolgung und Chaos an der Tagesordnung sind, nur damit wir in Europa weniger Flüchtlinge aufnehmen müssen. So wird die Menschenwürde der Arithmetik geopfert“, kritisiert Dekanatsjugendpfarrer Thomas Kaffenberger die Strategie der Bundesregierung. „Wir bitten deshalb den Nürnberger Oberbürgermeister Ulrich Maly, seinen Appell ans bayerische Innenministerium vom September 2013 zu erneuern, die Abschiebungen nach Afghanistan auszusetzen, und appellieren an die Verantwortlichen der Stadt Nürnberg, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, damit Menschen aus Afghanistan ein dauerhaftes Bleiberecht bekommen.“

Für Amir Hossain suchen ejn und AWO, die in der Flüchtlingsarbeit seit längerem in verschiedenen Projekten kooperieren, dringend einen Ausbildungsplatz. Wer dem jungen Afghanen eine Lehrstelle Ausbildungsplatz anbieten möchte, kann sich via E-Mail an Nicole Schwenger vom Referat Migration und Integration der AWO Nürnberg wenden. Die Adresse lautet: Nicole.Schwenger@awo-nbg.de.