Nürnberg, 31. Mai 2016. Amir Hossain suchte einen Ausbildungsplatz und fand gleich zwei. Am 1. Juni hätte er als Auszubildender in einem Nürnberger Restaurant anfangen können. Der Vertrag ist unterschrieben. Für September hat er eine Zusage von Norma. Doch das war dem Ausländeramt zu spät, weil der Antrag des jungen Afghanen auf Aufenthaltserlaubnis 20 Tage zuvor abgelehnt worden war. Noch bevor dieser Bescheid rechtskräftig werden konnte, stand die Polizei vor Amir Hossains Tür, um ihn nach Afghanistan abzuschieben. Der geriet aufgrund früherer Traumata derart in Panik, dass er eine Psychose erlitt und seither in der Psychiatrie behandelt werden muss. Das aberwitzige Resultat: Aufgrund seiner Krankheit hat Amir jetzt gute Chancen auf ein Abschiebeverbot. Als Azubi in spe blieb ihm das verwehrt.

Amir Hossain ist nicht mehr er selbst. Der ehemals aufgeschlossene, fröhliche junge Mann wirkt apathisch. Er erkennt kaum noch jemanden und spricht kaum ein Wort. Wie lange die Psychose andauern wird, die er durch den Polizeieinsatz erlitten hat, können die behandelnden Ärzte nicht sagen. Dabei sah zuletzt alles so gut aus für den 20-Jährigen, der seit 2011 in Deutschland lebt. Mit Hilfe der Evangelischen Jugend Nürnberg (ejn) und der AWO Nürnberg hatte er zwei Lehrstellenangebote bekommen und einen Ausbildungsvertrag unterschrieben. Die Chancen auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis schienen gut zu stehen. Doch dann kam die Polizei, und mit deren Einsatz kamen die alten Traumata zurück, die Amir bei seiner Flucht nach Deutschland und in der Zeit davor davongetragen hat. Warum die Polizei mit ihrem Vorgehen diese psychische Erschütterung des jungen Mannes riskiert hat, obwohl schon 2013 dem Verwaltungsgericht Atteste zu dessen Gesundheitszustand vorlagen, und damit klar war, dass Amir unter anderem unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung leidet, ist eine der offenen Fragen, die im Nachhinein bleiben.

Die andere Frage ist die nach der Auslegung des in diesem und anderen Fällen maßgeblichen Paragraphen 25a des Aufenthaltsgesetzes, der eigentlich dafür gedacht ist, gut integrierten geduldeten Jugendlichen und jungen Erwachsenen einen Aufenthalt zu ermöglichen. Da ist zum einen die Passpflicht. „Ohne Pass gibt es keine Aufenthaltserlaubnis. Und die Ausländerbehörden machen die Zustimmung zur Aufnahme einer Arbeit oder einer Ausbildung oft von der Vorlage eines Passes abhängig“, erklärt Amirs Anwalt Yunus Ziyal. „Legen Flüchtlinge einen Pass vor, wird ihnen dann oft die Duldung verweigert. Das widersinnige Argument: Mit der Klärung der Identität entfalle der Grund für die Duldung. Dabei ist ein Pass aber grundsätzliche Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels. Die Betroffenen geraten in eine ausweglose Lage“.

Zum anderen verlangt der Paragraph, dass Flüchtlinge in der Lage sein müssen, ihren Lebensunterhalt zu sichern. Alternativ müssen sie eine Schule besuchen oder eine Ausbildung absolvieren. Im Fall von Amir gab es zwar zum Zeitpunkt der Ablehnung noch keinen Ausbildungsvertrag, wohl aber, bevor die Klagefrist dagegen abgelaufen war und die Ablehnung rechtskräftig werden konnte.

Und schließlich wurde die Ablehnung bereits vollstreckt, bevor die Klagefrist gegen den Ablehnungsbescheid abgelaufen war. „Auffällig ist, dass – obwohl der Paragraph 25a nicht nur einen Ermessensspielraum eröffnet, sondern eine „soll“-Vorschrift darstellt – die Ausländerbehörde ihn äußerst rigide auslegt“, kritisiert Ziyal.

Dass diese rigide Gesetzesauslegung der Nürnberger Ausländerbehörde derzeit gerade junge Männer aus Afghanistan trifft, könnte an einer Initiative von Bundesinnenminister Thomas de Maizière liegen, der Anfang des Jahres einzelne Gebiete in Afghanistan als sicher deklarierte und in einem Brief an den Vorsitzenden der Innenministerkonferenz der Länder aufforderte, Abschiebungen nach Afghanistan zu forcieren. Dass neben vielen anderen ExpertInnen sogar die ihm unterstellte Bundeswehr fürs laufende Jahr eine „Verschlechterung der Sicherheitslage“ in Afghanistan und gar einen „Kontrollverlust der afghanischen Sicherheitskräfte“ befürchtet, ficht ihn dabei anscheinend nicht an.

„Angesichts des dogmatischen und folgenschweren Vorgehens im Fall Amir Hossain und in weiteren, ähnlich gelagerten Fällen appellieren wir nochmals an die Stadt Nürnberg, Abschiebungen nach Afghanistan bis auf Weiteres auszusetzen, und unterstützen ausdrücklich die Kampagne ‚not safe – Keine Abschiebungen nach Afghanistan‘ des Bayerischen Flüchtlingsrats“, erklärt Dekanatsjugendpfarrer Thomas Kaffenberger von der ejn. „Die Abschiebung nach Afghanistan ist angesichts der dortigen Sicherheitslage weder mit christlichen noch mit humanistischen Moralkodizes vereinbar.“

Der Link zur Kampagne „not safe – Keine Abschiebungen nach Afghanistan“: https://www.facebook.com/KeineAbschiebungenNachAfghanistan/